„Unser Leben ist auseinandergebrochen“ – eine aus dem Iran in die Schweiz geflüchtete Familie soll in ein Land zurückgeschafft werden, wo ihr Gefängnis, Folter oder vielleicht sogar der Tod drohen…

Peter Sutter, 20. November 2025

Vorliegende Aufzeichnungen beruhen auf einem persönlichen Treffen am 16. November 2025 zwischen mir und der aus dem Iran in die Schweiz geflüchteten Familie J.

Der Vater A. (50 Jahre) flüchtete vor 6 Jahren in die Schweiz, seine Frau R. (46) und ihre beiden Töchter K. (25) und N. (23) vor 3 Jahren.

A. geriet aufgrund eines von ihm verfassten regimekritischen Zeitungsartikels ins Kreuzfeuer des Regimes. Um einer drohenden Inhaftierung und möglichen Todesstrafe zu entgehen, flüchtete er im Jahre 2019 über die Türkei und Italien in die Schweiz. Sein Asylgesuch wurde im Jahre 2021 abgelehnt, das Urteil wurde vom zugewiesenen Anwalt ans Bundesverwaltungsgericht weitergezogen.

A. arbeitet seit 4 Jahren als Gipser mit einer 100%-Anstellung. Er ist während dieser Zeit allen Verpflichtungen nachgekommen und hat auch seine Steuern stets fristgerecht und vollumfänglich bezahlt. Seine Arbeitgeber sprechen seinem Einsatz und seiner Zuverlässigkeit das beste Zeugnis aus.

Für seine im Iran zurückgebliebene Frau und seine beiden Töchter wurde die Situation zunehmend schwieriger. Immer wieder tauchte die Polizei auf, oft mitten in der Nacht, stets mit Masken unkenntlich gemacht. Die Mutter und ihre beiden Töchter wurden bedroht und eingeschüchtert, den Aufenthaltsort des Vaters bekannt zu geben. Von Mal zu Mal wurde die Polizeigewalt brutaler. Einmal wurde K. so lange und so heftig geschlagen, bis ihr Körper dermassen betäubt war, dass sie die Schmerzen nicht mehr empfand. Immer wieder wurden die Mutter und ihre Töchter vergewaltigt.

Schliesslich ergriffen auch die Mutter und die beiden Töchter die Flucht aus dem Iran. Sie konnten sich Reisepapiere verschaffen und flogen nach Italien, von dort mit dem Zug in die Schweiz. Auch ihr Gesuch auf Asyl wurde, wie jenes des Vaters, abgelehnt und sodann ans Bundesverwaltungsgericht weitergezogen.

Da sich die Familie J. durch den Pflichtanwalt zu wenig gut vertreten fühlte, suchten sie einen neuen Anwalt. Durch Bekannte wurde ihnen S.H. in St. Gallen empfohlen. Aufgrund eines mit ihm abgeschlossenen Vertrags sind sie seither verpflichtet, ihm monatlich 500 Franken zu überweisen. Ihr Eindruck ist jedoch, dass auch S.H., wie schon der vorherige Pflichtanwalt, keine tatsächlichen Leistungen in ihrem Asylverfahren erbringt. Briefe an ihn bleiben unbeantwortet, Telefonanrufe nimmt er nicht entgegen, ihm eingereichte Dokumente haben sie bis jetzt nicht zurückbekommen.

Entgegen dem Wunsch der beiden Töchter (zu diesem Zeitpunkt 20 und 22 Jahre alt), mit ihren Eltern zusammen wohnen zu können, wurde die Familie vorerst getrennt untergebracht, erst nach mehrmaliger Nachfrage durften sie zusammenziehen.

K. und N. setzten alles daran, in der Schweiz eine Ausbildung machen zu können. Die Hürden, eine Lehrstelle zu finden, waren riesig, doch sie gaben nicht auf. Schliesslich fand sowohl K. wie auch N. auf August 2025 eine Lehrstelle als Coiffeuse, in zwei verschiedenen Salons. Vom Lehrlingsamt wurde ihnen infolge ihrer noch nicht perfekten Deutschkenntnisse eine zweijährige EBA-Lehre empfohlen, doch die beiden gaben sich nicht damit zufrieden, wollten sich unbedingt ein höheres Ziel setzen und eine dreijährige EFZ-Lehre in Angriff nehmen. Die Geschäftsleiterinnen der beiden Salons waren beim Schnuppern und beim Vorstellungsgespräch von der Einsatzbereitschaft und dem sympathischen Auftreten der beiden so begeistert, dass schliesslich sowohl K. wie auch N. einen Lehrvertrag für die dreijährige EFZ-Lehre erhielten. Beide Geschäftsleiterinnen sind über die beiden jungen Frauen voll des Lobes, beide gehören auch in der Berufsschule zu den Besten in ihrer Klasse, beide haben aktuell einen Notendurchschnitt von über 5.0.  

Die Mutter musste sich infolge einer Brustkrebserkrankung bereits im Iran einer Chemotherapie unterziehen. Sie steht weiterhin unter ärztlicher Behandlung. Ihr Gesundheitszustand ist immer noch sehr fragil und es besteht die Gefahr eines Rezidivs. Sie fühlt sich sowohl körperlich schwach wie auch psychisch schwer belastet durch Ängste, Sorgen, Gewalterfahrungen und existenzielle Bedrohungen über so viele Jahre.

K. und N. bekennen sich zur Bahai-Religion. Es handelt sich dabei um eine weltweit verbreitete und universale Religion, die Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet wurde und darauf beruht, die Erde als «nur ein Land und alle Menschen als dessen Bürgerinnen und Bürger» zu betrachten. Mit ihrer universalen Botschaft der Liebe zwischen allen Völkern und Menschen der ganzen Erde steht die Bahai-Religion in deutlichem Widerspruch zum Fundamentalismus der iranischen Staatsführung und ist deshalb – im Gegensatz etwa zu einem christlichen Glaubensbekenntnis – im Iran verboten. (Mehr Informationen zur Situation von Anhängerinnen und Anhängern der Bahai-Religion im beigelegten Dokument aus Wikipedia.)

K. und N. haben auch schon an Demonstrationen gegen das heutige Regime Irans teilgenommen. An einer dieser Demos (in Bern) befanden sie sich unweit einer Gruppe von Israelis, die ebenfalls an dieser Demonstration teilnahmen. Es gibt ein Foto in Internet, wo man K. und N. neben einer Israelflagge sieht.

Aufgrund sämtlicher vorliegender Fakten kann man sich wohl kein einziges logisches und nachvollziehbares Argument vorstellen, das dafür sprechen könnte, der Familie J. nicht ein dauerhaftes Bleiberecht in der Schweiz zu gewähren. Erstens ist der Vater ein erklärter und öffentlich bekannter politischer Gegner des herrschenden iranischen Regimes. Die Gefahr an Leib und Leben, welcher er bereits vor sechs Jahren vor seiner Flucht ausgesetzt war, hat sich inzwischen zusätzlich massiv verschärft, insbesondere nach dem Angriff Israels auf den Iran im Juni 2025. Seither ist eine neue Repressionswelle im Gange, die alles Bisherige übertrifft. „Fast jeder und jede“, so berichtete „20minuten“ am 4.11.25, „wird der Zusammenarbeit mit Israel verdächtigt. Derzeit wird im Iran alle drei Stunden ein Gefangener gehängt.“ Gemäss IHRS, der Iran Human Rights Society, war der Oktober 2025 der „blutigste Monat für iranische Gefangene seit 1988. Mindestens 285 Gefangene, darunter vier Frauen, wurden in diesem Zeitraum getötet.“ Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie das Regime mit Herrn J. nach einer Rückschaffung in den Iran umgehen würde.

Zweitens ist der Gesundheitszustand von Frau J. aufgrund ihrer Brustkrebserkrankung nach wie vor äusserst prekär und trotz vorübergehender Erholung die Gefahr eines Rezidivs nicht ausgeschlossen. Die Leidens- und Fluchtgeschichte über so viele Jahre haben Frau J. nicht nur physisch, sondern auch psychisch dermassen zugesetzt, dass jede weitere Unsicherheit und damit verbundene Zukunftsängste unabsehbare Folgen nach sich ziehen könnten.

Drittens wären K. und N. infolge ihrer Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen in der Schweiz nach einer Rückschaffung in den Iran höchster Gefahr ausgesetzt, insbesondere, weil es im Internet Bilder gibt, auf denen sie neben einer Flagge Israels zu sehen sind, dem Todfeind des iranischen Regimes.

Viertens würde der iranische Staat K. und N. nach einer Rückschaffung aufgrund ihrer offiziellen Zugehörigkeit zur Religion der Bahai als Menschen ohne jegliche Rechte behandeln. Da die Bahai-Religion – etwa im Gegensatz zum christlichen Glauben – im Iran verboten ist, haben deren Anhängerinnen und Anhänger keine soziale und staatliche Unterstützung, keinen Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt, dürfen keine Verträge abschliessen, keine Bankkonten eröffnen, ihre Unterschriften sind nichts wert.

Fünftens hat die Familie J. in der Zeit, die sie bisher in der Schweiz verbracht hat – der Vater seit sechs Jahren, die Mutter und die beiden Tochter seit drei Jahren -, eine sprachliche und gesellschaftliche Integrationsleistung erbracht, wie man sie sich aus Schweizer Sicht beeindruckender und erfolgreicher gar nicht vorstellen kann. Stets zur Zufriedenheit seiner Arbeitgeber ist der Vater seiner Tätigkeit als Gipser nachgekommen, hat stets pünktlich seine Steuern bezahlt und nie gab es irgendwelche Probleme im Umgang mit Behörden. Die beiden Töchter werden von ihren Vorgesetzten und den Lehrkräften der Berufsschule über alle Massen gelobt, sowohl was den Einsatz am Arbeitsplatz wie auch die schulischen Leistungen betrifft.

JA, WENN ES NACH LOGIK UND VERNUNFT GINGE, GÄBE ES WOHL NICHT DEN GERINGSTEN ZWEIFEL. MÜSSTE EINE FLÜCHTLINGSFAMILIE EIN DAUERHAFTES BLEIBERECHT IN DER SCHWEIZ BEKOMMEN UND FÜR EINE SO BEEINDRUCKENDE INTEGRATIONSLEISTUNG BELOHNT WERDEN, DANN WÄRE ES WOHL DIE FAMILIE J. AUS DEM IRAN.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil im soeben (Ende November) von Bundesrat Beat Jans präsentierten Positionspapier der neuen schweizerischen Asylstrategie eine der vier aktuellen „Baustellen“ explizit in der Weise formuliert ist, dass insbesondere die „Integration geflüchteter Frauen in den Schweizer Arbeitsmarkt“ zu fördern sei.

DOCH LOGIK UND VERNUNFT SCHEINEN TROTZ DIESER SCHÖNEN WORTE NICHT DIE RICHTSCHNUR ZU SEIN, AN DER SICH DIE AKTUELLE SCHWEIZER ASYLPOLITIK DERZEIT ORIENTIERT: WIE EIN BLITZ AUS HEITEREM HIMMEL ERHIELT DIE FAMILIE J., DIE ZUM ERSTEN MAL NACH SO VIELEN JAHREN DES LEIDENS ERSTE ZUKUNFTSHOFFNUNG UND LEBENSPERSPEKTIVE AUFBAUEN KONNTE, AM 6. NOVEMBER 2025 FOLGENDEN BRIEF VOM STAATSSEKRETARIAT FÜR MIGRATION, ADRESSIERT AN DIE ÄLTERE TOCHTER DER FAMILIE, ÜBER WELCHE JEWEILS DIE KOMMUNIKATION ZUM SEM LÄUFT…

Nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist unsere Entscheidung, Ihren Asylantrag abzulehnen und Ihre Ausweisung aus der Schweiz anzuordnen, rechtskräftig. Folglich haben Sie keinen Anspruch mehr auf Sozialleistungen gemäss Asylgesetz. Wir erinnern Sie ausserdem an Ihre Pflicht, die notwendigen Schritte zur Beschaffung von Reisedokumenten einzuleiten (Art. 8 Abs. 4 Asylgesetz). Sollten Sie den Anordnungen der kantonalen Behörden nicht nachkommen, können Sie inhaftiert und anschliessend zwangsweise in ihr Herkunftsland zurückgeführt werden. Bitte nehmen Sie, gnädige Frau, den Ausdruck unserer höchsten Wertschätzung entgegen.

An diesem 6. November 2025 verstand nicht nur die Familie J. die Welt nicht mehr, auch ihr ganzes privates, berufliches und soziales Umfeld ist sprachlos, die Vorgesetzten der Coiffeursalons, die Lehrkräfte der Berufsschule, die Nachbarn, alle Leute, mit denen wir uns bisher über die Geschichte der Familie J. ausgetauscht haben. „Damit“, so einer der zahlreichen Stimmen, „ist mein Glaube an das schweizerische Rechtssystem endgültig zusammengebrochen“.

Auch wenn Zwangsausschaffungen nach dem Iran derzeit nicht durchgeführt werden können, bedeutet der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Familie in eine prekäre, auf das existenzielle Mindestmass reduzierte Nothilfeversorgung abgeschoben wird, die bisherige Wohnung räumen muss, keiner Beschäftigung mehr nachgehen darf, die so erfolgreich begonnene Lehren abgebrochen werden müssen, das mühsam aufgebaute soziale Umfeld weitgehend wieder verloren geht und eine Zukunft in totaler Hilflosigkeit und Perspektivenlosigkeit bevorsteht, ohne den geringsten erkennbaren gesellschaftlichen oder ökonomischen Nutzen für irgendwen…

Wie wenn es der Tragik nicht genug wäre, hat die Familie J. das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das dem Ausschaffungsentscheid zugrunde liegt, bis zur Stunde noch nicht einmal erhalten. Es liegt offensichtlich noch beim Anwalt in St. Gallen, dem sie zwar 500 Franken pro Monat zahlen für die Aufgaben, denen er nicht nachkommt, und der es, aus was für Gründen auch immer, nach wie vor unter Verschluss hält.

(Anmerkung am 4. Dezember 2025: Rechtliche Schritte zur Erwirkung eines dauerhaften Bleiberechts für die Familie J. in der Schweiz wurden inzwischen in die Wege geleitet. Die herrschende Asylgesetzgebung setzt allerdings extrem enge Grenzen. Wie es aussieht, wird nur über öffentliche Mobilisierung und Unterstützung durch bekannte Persönlichkeiten etwas zu erreichen sein.)

„Unser Leben ist auseinandergebrochen“

Am 10. Dezember, 4 Tage nach dem Ablauf des Ausschaffungsbefehls, hat mir K., die ältere, 25jährige Tochter der Familie J., folgende Zeilen geschickt:

„Wir versuchen, gut zu sein, aber es geht einfach nicht. Meine Mutter und mein Vater verhalten sich wie Verrückte, sie sind sehr besorgt. Meine Mutter schläft bis zum Morgen nicht und steht die ganze Zeit am Fenster, weil sie Angst hat, dass die Polizei kommen könnte. Unser Leben ist auseinandergebrochen. Meine Schwester traut sich vor Angst nicht mehr nach Hause zurückzukommen. In der Schule können wir uns nicht mehr konzentrieren, und bei der Arbeit sind wir wie Tote. Wir schaffen es nur, eine Mahlzeit am Tag zu essen. Ich habe das Gefühl, dass meine Kraft am Ende ist. Ich kann nicht mehr.“

Ich bin sprachlos. Mir fehlen die Worte, um mein Unverständnis über die Entscheide des SEM und des Bundesverwaltungsgerichts auszudrücken. Die im Iran politisch verfolgte und von Gefängnis, Folter und Todesstrafe bedrohte Familie hat alles getan, um sich in die schweizerische Gesellschaft zu integrieren. Nun soll alles, was sie aufgebaut haben, von einem Tag auf den andern zunichte gemacht werden: Der Vater, der seit vier Jahren zu 100% zur vollsten Zufriedenheit seiner Arbeitgeber als Gipser gearbeitet hat und allen Verpflichtungen nachgekommen ist, muss seinen Job aufgeben. Die beiden Töchter müssen ihre eben erst begonnene Lehre als Coiffeuse – ihre Chefs sind voll des Lobes über die beiden, die auch in der Berufsschule zu den Besten gehören – abbrechen und die Familie muss ihre mit viel Liebe eingerichtete Wohnung in einem Visper Mehrfamilienhaus räumen…

BITTE UNTERSCHREIBT DIE PETITION UND LEITET SIE AN MÖGLICHST VIELE WEITERE PERSONEN WEITER. VIELEN DANK.

https://act.campax.org/petitions/titel-schutzt-familie-j-kein-ruckschaffungsbefehl-in-folter-und-tod?share=26346774-abbc-447f-b1cf-538694737ac2&source=email&utm_medium=&utm_source=email

Hast du noch einen Moment Zeit um die Petition mit anderen zu teilen? Es ist ganz einfach – leite einfach diese E-Mail weiter oder teile diesen Link auf Facebook oder Bluesky:

https://act.campax.org/petitions/titel-schutzt-familie-j-kein-ruckschaffungsbefehl-in-folter-und-tod?share=26346774-abbc-447f-b1cf-538694737ac2&source=email&utm_medium=&utm_source=email

HINTERGRUNDINFORMATIONEN ZUR SITUATION DER BAHAI IM IRAN (Wikipedia)

Die Bahai in Iran sind von verschiedenen Menschenrechtsverletzungen betroffen. So meldete die Internationale Bahai-Gemeinde eine deutliche Zunahme an willkürlichen Inhaftierungen, horrende Kautionszahlungen, Folter, Beschlagnahmungen, die Verweigerung des Zugangs zu höherer Bildung, Schikanen und Drangsalierungen von Kindern und Jugendlichen und staatlich organisierte Propaganda, welche eine Dämonisierung von Bahai bewirken soll. Übergriffe auf Bahai, die durchweg unbestraft bleiben, wurden seit der Amtszeit von Mahmud Ahmadinedschad durch gezielte Hetzkampagnen geschürt. Das Versammlungsrecht und der Besitz von Gemeindeeigentum wird den Bahai nach wie vor nicht gewährt. Im Jahr 2004 wurden mehrere mit der frühen Bahai-Geschichte in Iran verbundene heilige Stätten, darunter das Geburtshaus des Religionsstifters, zerstört, um die kulturellen Spuren dieser Religion in Iran zu tilgen. In einigen Städten kam es in der jüngsten Zeit zu Zerstörungen von Bahai-Friedhöfen, so zuletzt 2018 in Isfahan. Nach wie vor werden die Bahai von weiterführender Bildung und dem Besuch von Universitäten ausgeschlossen. Eine Beschäftigung in öffentlichen Einrichtungen wird ihnen verwehrt. Geschäfte werden regelmäßig durch Behörden versiegelt, wenn sie an Bahai-Feiertagen geschlossen sind. Im Jahr 2008 inhaftierte der iranische Geheimdienst die sieben führenden Mitglieder der iranischen Bahai-Gemeinde einschließlich der Geschäftsführerin der Gruppe, Mahvash Sabet, die mit ihren Gedichten aus dem Gefängnis internationale Beachtung fand. Damit verlor die iranische Bahai-Gemeinde ihre informelle Leitungsgruppe, welche nach der Verschleppung und Hinrichtung der Mitglieder des Nationalen Geistigen Rates der Bahai in Iran in den Jahren 1980 und 1981 – unter Mitwissen der iranischen Regierung – gegründet wurde. Die Mitglieder dieses aufgelösten Gremiums wurden nach Vollendung ihrer zehnjährigen Haftstrafen freigelassen. Weiterhin wird den Bahai jegliche Form der Verwaltung vorenthalten.

Im Januar 2020 wurde bekannt, dass der neue Chipkarten-Personalausweis in Iran nur noch über ein Onlineformular beantragt werden kann, bei dem nur eine der vier in der Verfassung anerkannten Religionen – Islam, Christentum, Judentum, Zoroastrismus – angegeben werden können. Die Option „andere Religion“ besteht nicht. Auf Nachfrage wurde den Bahai mitgeteilt, dass sie eine der vier Möglichkeiten wählen sollen. Sie werden dadurch vor die Wahl gestellt, über ihre Religionszugehörigkeit zu lügen oder auf grundlegende Dienstleistungen zu verzichten. Denn der Chipkarten-Personalausweis wird etwa für die Beantragung eines Reisepasses und eines Führerscheins sowie für die Eröffnung eines Bankkontos, die Aufnahme eines Darlehens sowie den Erwerb von Grundstücken benötigt. Die Bahai-Gemeinde betonte, dass die Verleugnung ihres Glaubens für sie nicht infrage käme.

Während der Covid-19-Pandemie hat die Verfolgung der Bahai mit Inhaftierungen, Beschlagnahmungen, medialer Desinformation und Strafurteilen zugenommen. Die iranischen Behörden machen die Bahai für die Krise verantwortlich und stempeln sie damit abermals als Sündenböcke ab. Im August 2022 wurde bekannt, dass mehrere Angehörige der Bahai-Religion wegen angeblicher Spionage für Israel festgenommen wurden, laut iranischem Geheimdienst der „zentrale Kern der Bahai-Spionagepartei“, der im Auftrag Israels geheime Informationen gesammelt und weitergeleitet und das vermeintliche Ziel hätte, im ganzen Land „Bildungseinrichtungen auf verschiedenen Ebenen zu infiltrieren, insbesondere Kindergärten und Schulen“, wo sie Missionsarbeit für die verbotene Bahai-Religion betrieben hätten.

AMNESTY INTERNATIONAL, 26. SEPTEMBER 2025: DIE MENSCHENRECHTSLAGE IM IRAN

Die Behörden der Islamischen Republik Iran haben im Jahr 2025 bisher mehr als 1000 Menschen hingerichtet. Dies ist die höchste dokumentierte Zahl seit 15 Jahren. In weniger als neun Monaten wurden dieses Jahr bereits mehr Menschen exekutiert als im gesamten Jahr 2024, als die Gesamtzahl bereits bei horrenden 972 Hinrichtungen lag.

Seit den Protesten unter dem Motto «Frau, Leben, Freiheit» im Jahr 2022 wenden die iranischen Behörden die Todesstrafe verstärkt an, um die staatliche Repression durchzusetzen und kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Auch nimmt derzeit die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten stetig zu. Seit Israel den Iran im Juni 2025 militärisch angegriffen hat und die Kampfhandlungen zwischen den beiden Ländern eskaliert sind, werden im Iran aus Gründen der «nationalen Sicherheit» vermehrt Todesurteile vollstreckt.

«Die Zahl der Hinrichtungen im Iran hat ein entsetzliches Ausmass angenommen. Die iranischen Behörden wenden die Todesstrafe systematisch an, um Menschen zu unterdrücken und jeglichen Dissens auszumerzen. Dies ist ein grauenerregender Angriff auf das Recht auf Leben», so Heba Morayef, Direktorin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

«Die Todesstrafe ist unter allen Umständen verabscheuenswert, doch ihre massenhafte Anwendung nach routinemässig grob unfairen Gerichtsverfahren verstärkt das Unrecht noch um ein Vielfaches», so Heba Morayef weiter. «Unter anderem geraten politisch Andersdenkende, Angehörige von unterdrückten ethnischen Minderheiten, Protestierende sowie Menschen, denen Drogendelikte vorgeworfen werden, ins Visier und werden willkürlich zum Tode verurteilt.

Die Menschenrechtsorganisation fordert von den Behörden die umgehende Verhängung eines Hinrichtungsmoratoriums. Andere Staaten sind aufgefordert, Druck auf die iranische Regierung auszuüben, alle geplanten Hinrichtungen zu stoppen.  «Die internationale Gemeinschaft muss sofort energische Massnahmen ergreifen und Druck auf die iranischen Behörden ausüben, alle geplanten Hinrichtungen sofort zu stoppen, alle Todesurteile aufzuheben und ein offizielles Moratorium für alle Hinrichtungen zu verhängen mit dem Ziel, die Todesstrafe vollständig abzuschaffen», sagt Heba Morayef.  «Angesichts der systematischen Straflosigkeit für diese willkürlichen Hinrichtungen müssen Staaten wirkungsvolle Mittel finden, um iranische Staatsbedienstete zur Rechenschaft zu ziehen. Unter anderem sollten sie mithilfe des Weltrechtsprinzips gegen Staatsbedienstete vorgehen, gegen die der begründete Verdacht strafrechtlicher Verantwortung für völkerrechtliche Verbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen besteht.»

Die Gefahr der willkürlichen Hinrichtung besteht besonders für Personen, die wegen Drogendelikten oder übermässig breit und vage definierten Anklagen wie «Feindschaft zu Gott» (moharebeh), «Verdorbenheit auf Erden» (ifsad fil-arz) oder «bewaffneter Rebellion gegen den Staat» (baghi) zum Tode verurteilt wurden, oft nach unfairen Gerichtsverfahren vor Revolutionsgerichten.

Recherchen von Amnesty International haben durchweg gezeigt, dass die für Belange der nationalen Sicherheit und für Drogendelikte zuständigen Revolutionsgerichte nicht unabhängig sind und nach Verfahren, die bei Weitem nicht den internationalen Standards entsprechen, harte Strafen verhängen. Den Angeklagten werden systematisch ihre Verfahrensrechte vorenthalten. Am 17. September 2025 exekutierten die iranischen Behörden willkürlich Babak Shahbazi, der im Mai nach einem unfairen Verfahren vor einem Revolutionsgericht zum Tode verurteilt worden war. Die von ihm erhobenen Folter- und Misshandlungsvorwürfe wurden von den Behörden nie untersucht. 

Von der Anwendung der Todesstrafe besonders stark betroffen sind ausgegrenzte Minderheiten, insbesondere Angehörige von afghanischen, belutschischen und kurdischen Gemeinschaften. Mindestens zwei kurdische Frauen befinden sich derzeit im Todestrakt und sind in Gefahr, hingerichtet zu werden: die bei einer Hilfsorganisation tätige Pakshan Azizi und die Dissidentin Verisheh Moradi. 

Seit die Kampfhandlungen zwischen Israel und dem Iran im Juni 2025 eskalierten, haben hochrangige Regierungsvertreter*innen – darunter die Oberste Justizautorität Gholamhossein Mohseni Eje’i – dazu aufgerufen, Personen, denen die «Unterstützung» oder «Zusammenarbeit» mit feindlichen Staaten wie Israel vorgeworfen wird, beschleunigt vor Gericht zu stellen und hinzurichten. In diesem Kontext hat das iranische Parlament Gesetze verabschiedet, die im Fall einer Bestätigung durch den Wächterrat die Anwendung der Todesstrafe noch stärker ausweiten würden. Es könnten dann Todesurteile für vage formulierte Anklagen wie «Zusammenarbeit mit feindlichen Regierungen» und «Spionage» verhängt werden. 

Seit dem 13. Juni 2025 sind mindestens zehn Männer wegen politisch motivierter Vorwürfe hingerichtet worden; mindestens acht von ihnen wurden der Spionage für Israel beschuldigt. Amnesty International hat das Schicksal vieler weiterer Menschen dokumentiert, denen wegen ähnlicher politisch motivierter Anschuldigungen die Hinrichtung droht. Unter ihnen befinden sich der schwedisch-iranische Wissenschaftler Ahmadreza Dialali und die Menschenrechtlerin Sharifeh Mohammadi, deren Schuldspruch und Todesurteil im August 2025 von der Abteilung 39 des Obersten Gerichtshofs bestätigt wurde.

Amnesty International wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe, da sie das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben verletzt und die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen darstellt.